Der Islam in Deutschland: Entstehung - Verbreitung - Ziele

Dr. Ishak Ersen

 

Herbsttagung am 16. Oktober 2004

 

 

 

In Deutschland, wie in der gesamten westlichen Welt, kann die Berichterstattung über den Islam nicht sachlich ausgewogen erfolgen, weil der Islam in erster Linie als ein gewichtiger Akteur der Weltpolitik verstanden wird, den es zu vereinnahmen gilt oder mit dem man sich zumindest nicht überwerfen sollte. Wer sich hierzulande mit dieser Religion befaßt, darf diese Tatsache nicht außer Acht lassen. Denn die gegenwärtige Lage und Entwicklung des Islam in Deutschland wird maßgeblich von dieser Zurückhaltung bestimmt. Bisher waren es eher außenpolitische Überlegungen, die es dem Staat opportun erscheinen ließen, den Islam rücksichtsvoll zu behandeln. Heute treten jedoch zunehmend innenpolitische Argumente in den Vordergrund, vor allem wenn man an die etwa vier Millionen Menschen islamischen Glaubens denkt, die im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts in unserem Land eine muslimische Minderheit formten. Betrachten wir jedoch zunächst die außenpolitischen Faktoren.

 

I.

 

Es war das wilhelminische Kaiserreich, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts den vorderen Orient wieder in den Blickpunkt des außenpolitischen Interesses rückte und als Zielscheibe für sein Hegemoniestreben entdeckte. Als denkwürdiges Datum ging in diesem Zusammenhang der 11. November 1898 in die Geschichte ein. An diesem Tag besuchte Kaiser Wilhelm II. das Grab Saladins in Damaskus. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden die grundverschiedenen Perspektiven deutlich, in die man historische Zusammenhänge des vorderen Orients einordnete. Während nämlich Saladin von Muslimen als der siegreiche Feldherr und Wiedereroberer Jerusalems gefeiert wurde, betrachtete man ihn im Westen eher als die Verkörperung orientalischer Ritterlichkeit. Dies spiegelt sich in der symbolträchtigen Rede wider, die der Kaiser am Grab Saladins hielt:

 

Möge seine Majestät der Sultan und mögen die 300 Millionen Mohammedaner, welche auf der Erde zerstreut lebend, in ihm ihren Kalifen verehren, dessen versichert sein, dass zu allen Zeiten der deutsche Kaiser ihr Freund sein wird. Wilhem II.

 

Auch das Spruchband der Kaiserin Victoria, das diese eigens an einen Blumenstrauß geheftet hatte und das die Aufschrift "Dem Gedenken des heldenhaften Sultan Saladin“ trug, lässt sich trefflich in diesen Kontext einordnen.

 

Mit all diesen Gesten unterstrich der deutsche Kaiser die zunehmende Bedeutung, die er dem Islam beimaß. Es galt, die Türkei als Hauptverbündeten zu gewinnen, um zunächst die Machtverhältnisse auf dem Balkan weiter zu stabilisieren und danach den Mittleren Osten als hegemoniale Einflußzone anzuvisieren. Dadurch versprach sich Wilhelm II. nicht nur eine entscheidende Schwächung der Stellung Frankreichs im Vorderen Orient, sondern auch eine Kontrolle über die britischen Handelswege nach Indien, das, wie viele Kolonien des britischen Imperiums, über einen beträchtlichen muslimischen Bevölkerungsanteil verfügte. Dies erhöhte die zentrale Bedeutung, die dem Islam beigemessen wurde. Gleichzeitig kursierten im Orient verschiedene Gerüchte hinsichtlich des verstärkten deutschen Interesses am Islam. Man mutmaßte zum Beispiel, der Kaiser sei zum Islam übergetreten und habe heimlich eine Pilgerfahrt nach Mekka unternommen. Dann wiederum hieß es, dass Deutschland den Islam als Staatsreligion eingeführt habe. Ob diese Gerüchte gezielt von den deutschen Behörden gestreut wurden oder ob deren Ursprung vielmehr beim britischen Geheimdienst zu suchen war, der die Interessen der englischen Krone durch das expansive Hegemoniestreben des deutschen Kaiserreiches bedroht sah, lässt sich heute nicht mehr mit letzter Bestimmtheit klären.

 

Den Höhepunkt erreichte die deutsch-muslimische Allianz, als die Türkei im Ersten Weltkrieg sich auf die Seite Deutschlands schlug. Damit ergab sich eine völlig neue Konstellation. Ein islamischer Staat, dessen Oberhaupt sich als "Statthalter Allahs auf Erden“ betrachtete, verband sich mit einem christlichen Land, um gegen andere christliche Staaten zu kämpfen. Als der türkische Sultan in seiner Kriegserklärung Deutschland seine Unterstützung ankündigte, erließ die höchste islamische Religionsbehörde in Istanbul am 11.11.1914 sechs verbindliche Richtlinien, die so genannten "Fatwas". Die erste Fatwa begründete ausführlich, weshalb es die Pflicht eines jeden Moslems sei, zusammen mit dem Sultan an der Seite Deutschlands gegen England, Frankreich und Russland zu kämpfen. Eine andere Fatwa beschied, dass es einer großen Sünde gleich käme, sollten die in England, Frankreich, Russland, Serbien und Montenegro lebenden Muslime gegen Deutschland und Österreich zu Felde ziehen. Die deutsche Diplomatie erhielt eine ähnliche Fatwa auch von der persisch-schiitischen Zentralbehörde ausgestellt. Die feindlichen Mächte sahen den deutschen Aktivitäten jedoch nicht tatenlos zu. Vor allem England verwies auf die besondere Achtung und Toleranz, die Muslimen in den Kolonialgebieten der Krone entgegen gebracht würde. Einflussreiche muslimische Persönlichkeiten der britischen Kolonien wurden nicht müde, in ihren Schriften darauf hinzuweisen, wie sehr sich England dem Islam verbunden fühle. Zudem gaben sie ihren Glaubensbrüdern in anderen arabischen Ländern unmissverständlich zu verstehen, dass nach ihrem dafür Halten die Türkei nur dem Namen nach ein islamischer Staat sei, der in Wirklichkeit von machtbesessenen Potentaten regiert werde, die lediglich die Durchsetzung eigener nationalistischer Interessen vorantreibe und das Ideal des "ehrwürdigen Kalifen" missbrauche etc. Die westlichen Gegner Deutschlands nahmen diese Pauschalkritik dankbar auf und bezeichneten die Kriegserklärung des türkischen Sultans deshalb als "Djihad made in Germany“.

 

An diesem Beispiel lässt sich gut veranschaulichen, dass Deutschland keineswegs das einzige europäische Land war, das versuchte, den Islam für seine hegemonialen Zwecke einzuspannen. In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, welche Auswirkungen eine solche Vereinnahmung auf Deutschland hatte. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Lehre des Islam galt in der Presse meist als unerwünscht und selbst auf akademischer Ebene hielt sich die Forschung zu diesem Thema meist sehr bedeckt. Daran änderte sich auch während der Weimarer Republik nicht sehr viel. Erst im Dritten Reich erfuhr der Islam in Deutschland eine nachhaltige Aufwertung. Die "kämpferische", "männliche" und "judenfeindliche" Ausrichtung der Lehre Allahs wirkte damals auf manche Zeitgenossen wie eine orientalische Version der NS-Ideologie. Umgekehrt fand der Nationalsozialismus im Mittleren Osten einen enormen Widerhall. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Grundwerten des Islam fand während der gesamten Zeit des Dritten Reiches nie statt. Gestaltete sich schon während der wilhelminischen Kaiserzeit ein kritisches Hinterfragen des islamischen Wertekanons als ausgesprochen schwierig, so war dies im Dritten Reich nahezu unmöglich. In der NS-Literatur wurden vor allem die "erstaunlichen Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Nationalsozialismus“ hervorgehoben. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Auftrag des SS-Reichsführers Himmler, "... einmal feststellen zu lassen, aufgrund welcher Koranstellen die Mohammedaner der Ansicht sind, dass der Führer im Koran bereits vorausgesagt und beauftragt sei, das Werk des Propheten (Mohammed, Anm. d. Vf.) zu vollenden, da wir diese Gedanken sehr wohl in der mohammedanischen Bevölkerung, vor allem aber bei unseren eigenen mohammedanischen Truppen brauchen können".

 

II.

 

Auch nach dem 2. Weltkrieg wurde die Bedeutung der islamischen Welt für den Westen keineswegs geringer. Ganz im Gegenteil. Im Kalten Krieg wurde der Islam nämlich vom Westen zunehmend als Verbündeter der freien Welt im Kampf gegen den "gottlosen Kommunismus" entdeckt. So ist die Tatsache, dass im II. Vatikanischen Konzil der Dialog mit dem Islam feierlich beschlossen wurde, gewiss nicht als Zufall zu werten. Die Teilung Deutschlands kam kurioserweise dem Islam zugute. Beide deutsche Staaten waren bemüht, muslimische Staaten zufrieden zu stellen. Denn während die DDR in der islamischen Welt diplomatische Anerkennung anstrebte, versuchte die Bundesrepublik, dies systematisch zu verhindern.

 

Die diplomatische Anerkennung, die der DDR durch Ägypten und Syrien zuteil wurde, markiert einen folgenschweren Wendepunkt in der Geschichte des Islam in Deutschland. Die sich daraus ableitenden Konsequenzen prägten zunehmend das innenpolitische Erscheinungsbild der Bundesrepublik, in das sich immer häufiger islamische Elemente mischten. Die islamistische Durchdringung Westeuropas begann bereits Mitte der fünfziger Jahre. Zahlreiche Studenten aus dem arabischen Sprachraum, in erster Linie aus Ägypten und Syrien, beantragten in Deutschland Asyl. Die "Muslimbrüder" führten damals in Ägypten einen bewaffneten Kampf gegen das Militärregime. Auch der syrische Arm der Gruppe war in Terrorakte verwickelt. Ägypten und Syrien verband nicht nur der Kampf gegen einen gemeinsamen Feind, sondern auch die Nähe zur Sowjetunion. Der absurden Logik des Kalten Krieges folgend, gewährte man den islamistischen Opfern dieser Regime im Westen gern Asyl. So fanden die wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Muslimbrüder noch weit vor der Ankunft der ersten muslimischen Gastarbeiter in Deutschland Aufnahme. Das Ausmaß dieser Entwicklung lässt sich u. a. daran illustrieren, dass sich unter den ersten muslimischen Asylanten der BRD sowohl Said Ramadan, der Führer der ägyptischen Muslimbrüder, als auch dessen syrischer Mitstreiter Isam al-Attar befanden. Said Ramadan setzte sich später nach Genf ab, während die Gruppe um al-Attar Aachen zu ihrer neuen "Wahlheimat" machte. Als Zentrum der Gruppe galt die Bilal-Moschee in Aachen.

 

Die Bilal-Moschee von Aachen hat in den zurückliegenden Jahren selten für Schlagzeilen gesorgt. Das kann man von dem saudisch stämmigen Moslem Nadeem Elyas, der sowohl Vorstandsmitglied der Bilal-Moschee als auch Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZDM) ist, nicht behaupten. Elyas hat sich als vielgefragter Gesprächspartner von Kirche und Politik profiliert. Nach dem 11. September stieg er auf höchster Ebene gleichsam zu dem Vertreter der Muslime in Deutschland auf. Dies ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen ist der so genannte Dachverband von Elyas eher ein "Miniverband", der "lediglich 4000 organisierte Muslime repräsentiert", die zudem mehrheitlich arabisch stämmig sind. Zum anderen sind viele Mitgliedermoscheen des Verbandes als Ableger der Muslimbruderschaft bekannt. Deshalb ist es für viele neutrale Beobachter nur schwer nachvollziehbar, dass dem "Zentralrat der Muslime" ein ähnlicher Stellenwert wie dem "Zentralrat der Juden in Deutschland" eingeräumt werden soll.

 

Weshalb eine wenig repräsentative Minderheit der Islamisten als Dialogpartner bevorzugte Behandlung erfährt, darüber lässt sich lediglich spekulieren. Zwei Faktoren spielen dabei eine gewichtige Rolle. Zum einen herrscht unter der politischen Elite in Deutschland eine erschreckende Unkenntnis über den Islam vor. Zum anderen neigt die neuere deutsche Islamwissenschaft dazu, sich lediglich auf den arabischen Sprachraum zu konzentrieren und den dort propagierten Islam als die authentische Lehrmeinung zu betrachten. Darüber werden traditionellere Formen des Islam, etwa jene türkischer Provenienz, die doch den Alltag der meisten Muslime hierzulande nicht unerheblich prägen, völlig vernachlässigt. In dieser Debatte tritt deutlich zu Tage, welche Gefahren in einer monostrukturierten Betrachtungsweise eines so sensiblen Themas liegen. Der Islam als eine religiös motivierte totalitäre Ideologie, die für aufgeklärte Europäer mehrere Rätsel aufwirft, lässt sich auch von ausgewiesenen Islamwissenschaftlern in kein wissenschaftliches Korsett zwängen. Deshalb sollte man Behörden, die sich von einheimischen Islamwissenschaftlern beraten lassen, mit großer Vorsicht gegenübertreten. Ehemalige Islamisten oder Deutsche, die in islamischen Ländern aufgewachsen sind, könnten ein viel ausgewogeneres Bild der vorherrschenden Verhältnisse liefern und wären damit viel nützlicher als die so genannten Islamexperten unserer Tage.

 

Einen Gesprächspartner zu finden, der die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime vertritt, ist eine schier unlösbare Aufgabe, weil dies der Quadratur des Kreises gleich zu kommen scheint. Dies liegt zum einen daran, dass die hier lebenden Muslime heillos untereinander zerstritten sind und sich ihre Differenzen weder auf ethnischer, konfessioneller noch auf ideologischer Ebene lösen lassen. Der eigentliche Grund ist jedoch in der fehlenden Organisiertheit der moslemischen Splittergruppen zu suchen. Sieht man einmal von den persisch und arabisch stämmigen Schiiten ab, vermisst man eine Struktur, die sich mit dem organisatorischen Aufbau unserer Kirche vergleichen ließe. Nur ein Bruchteil der Muslime in Deutschland ist von den jeweiligen Verbänden und Dachorganisationen überhaupt erfasst. Optimistisch gerechnet vertreten alle bekannten Dachorganisationen insgesamt etwa 150.000 Muslime. Damit ist offensichtlich, dass der organisierte Islam in Deutschland für seine Klientel keineswegs repräsentativ ist.

 

Da die meisten Muslime nicht gemeinschaftlich organisiert sind, sehen sich die Behörden vor eine schwierige Entscheidung gestellt. Entweder sorgen sie dafür, dass sich die diversen islamischen Vereine auf eine einheitliche Linie verständigen und einen Vertreter bestimmen, der dann als Ansprechpartner für den Staat amtiert oder sie bestimmen denjenigen islamischen Verband zum Gesprächspartner, der sich sowohl inhaltlich einer gemäßigten Linie verpflichtet, als auch zahlenmäßig die Mehrheit der organisierten Muslime hinter sich vereint. In Frankreich hat man sich für erstere Lösung entschieden und ist damit kläglich gescheitert. Zwar mag es dem französischen Innenminister gelungen sein, alle islamischen Vertretungen an einen Tisch zu bringen, die alten Streitigkeiten unter den versammelten Wortführern konnte er damit jedoch nicht beilegen. Auch der eingeforderte moderate Duktus entpuppte sich bei einigen radikal islamistischen Vertretern mancher Mitgliedsverbände als pures Wunschdenken.

 

Für Deutschland wäre wohl eher die zweite Lösung anzustreben, bietet sie doch den Vorteil, dass militanten Islamisten der Nährboden für ihre radikalen Umtriebe entzogen würde.

 

Dagegen wäre es für Deutschland auf lange Sicht hin fatal und politisch äußerst bedenklich, eine islamistische Organisation als Gesprächspartner des Staates zu behandeln. Für eine solche Entwicklung sprechen jedoch gewisse Anzeichen. Die nach wie vor erschreckende Unkenntnis über die eigentlichen Ziele und Absichten des Islams versperrt vielen Zeitgenossen den Zugang zu einer dezidiert kritischen Analyse. So nimmt man mit einigem Befremden zur Kenntnis, dass in einer Veröffentlichung der Bundesbeauftragten für Ausländerfragen der türkische Staat der Ansehensschädigung des "Zentralrates der Muslime“ bezichtigt wird. Dieselbe Organisation findet auch im Menschenrechtsbericht des Auswärtigen Amtes positive Erwähnung.

 

Neben radikal islamistischen Organisationen gibt es in Deutschland auch einen islamischen Dachverband, der nicht nur als gemäßigt gilt, sondern auch mit Abstand die größte islamische Vereinigung ist. Dies ist die Türkisch-islamische Union des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten (DITIB). Obwohl die DITIB derzeit über die höchste Mitgliederzahl und die meisten Moscheen aller Dachverbände in ganz Deutschland verfügt, wird sie weitestgehend ignoriert. Der Grund dafür ist bekannt: Die DITIB wird als Deutschlandableger einer türkischen Behörde betrachtet, die dem türkischen Ministerpräsidenten direkt untersteht. Da die DITIB sich nicht nur als eine religiöse Organisation, sondern auch als Interessenvertreter der Türkei und ihrer Staatsbürger in Deutschland versteht, wird sie als Gesprächspartner meist abgelehnt.

 

Ganz anders stellt sich die Situation bei den islamistischen Vereinen dar. Obwohl auch sie ohne die ausländische Hilfe der Golfstaaten bzw. des Irans kaum überlebensfähig wären, werden sie dennoch als unabhängige Institutionen wahrgenommen. Die Ursachen dafür sind sehr vielschichtig. Zum einen gestaltet sich der Dialog mit den Islamisten um vieles einfacher, weil hier die Anzahl Deutsch sprechender Vertreter ungleich höher ist als in entsprechenden türkischen Vereinen. Zudem wirkt sich die antinationale Haltung der Islamisten ausgesprochen positiv auf die hiesige Dialogbereitschaft aus. Die radikale Verwerfung jedweder Form von Nationalismus wird in Deutschland meist schon als ein Zeichen guten Willens interpretiert. Dabei werden leider oftmals die Gründe verschwiegen, die einer solchen Ablehnung vorausgehen. Diese sind nämlich sehr vielschichtig und lassen sich keineswegs auf hehre Selbstkritik oder Vergangenheitsbewältigung reduzieren. Die Islamisten lehnen den Nationalismus vielmehr deshalb ab, weil ihnen jede Form des Nationalstaates prinzipiell suspekt erscheint. Die Treue eines Muslims soll sich - nach dem Dafürhalten der Islamisten - allein auf Allah richten. Das Hauptziel aller Anstrengungen bleibt die Errichtung eines Weltreiches der so genannten Umma (Gesamtheit der Muslime), das einzig und allein nach den ewigen Ordnungen der Scharia regiert wird.

 

III.

 

Die größte Herausforderung für Deutschland bleibt nach wie vor die Integration der ca. vier Millionen Muslime in unsere Gesellschaft. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, wenn man diese Menschen lediglich im Kontext ihrer Religionszugehörigkeit sehen würde. Dies entspräche zwar dem Konzept der Islamisten, würde jedoch vor allem der überwiegenden Mehrheit gemäßigter Türken in Deutschland nicht gerecht werden.

 

Der Umgang mit dem Islam hängt in Deutschland erheblich mit der Minderheitenproblematik aus deutscher Sicht zusammen. In Deutschland hat man die Frage der Minderheiten durchaus zufrieden stellend gelöst. Sowohl die Dänen in Schleswig-Holstein als auch die Sorben in Sachsen sind völkerrechtlich anerkannt. Diese beiden Bevölkerungsgruppen umfassen etwa 100.000 Menschen, die als vollkommen integriert und assimiliert gelten. Bei den drei Millionen Türken und 500.000 Kurden liegen die Dinge etwas anders. Hier haben wir es mit anderen Größenordnungen zu tun und es stellt sich die berechtigte Frage nach der Anerkennung dieser Volksgruppen als nationale Minderheit. Diese würde jedoch nicht unerhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. Wie die Vergangenheit hinreichend gezeigt hat, stellt die bloße deutsche Staatsangehörigkeit für unsere türkischen Mitbürger noch keine hinreichende Motivation dar, um sich in Deutschland gänzlich zu assimilieren. Zwar leben in unserem Land mittlerweile Hunderttausende Türken mit einem deutschen Pass, dennoch lassen sich erhebliche Defizite in den Assimilationsbemühungen dieser Menschen nicht in Abrede stellen.

 

Damit stellt sich die entscheidende Frage: "Was lässt sich tun, damit die kommende Generation muslimischer Migranten sich dauerhaft in die Gesellschaft integriert und militanten Gruppen, die auf religiösen Fanatismus setzen, das Wasser abgegraben werden kann?" Eine Patentlösung gibt es gewiss nicht, aber im Interesse aller hier lebenden Menschen wäre eine Assimilation dieser Volksgruppen eine unabdingbare Voraussetzung, um ein harmonisches Zusammenleben auch in Zukunft zu gewährleisten. Ob und wann die Migranten muslimischen Glaubens sich als "ganz normale Deutsche" verstehen werden, ist schwer beantwortbar. Kurz- und mittelfristig wäre es viel klüger, nationale und "folkloristische" Besonderheiten der Migranten zu respektieren, als ihre islamische Identität zu betonen und zu fördern. Türkische Sprache oder anatolischer Volkstanz ist weit weniger gefährlich für die Integration als der Islam, der in absehbarer Zeit weder zu europäisieren noch einzudeutschen ist. Ein neuer Sprachgebrauch ist vonnöten. Statt von Muslimen mit deutschem Pass oder deutschen Muslimen zu sprechen, sollte man die Neubürger als Deutsche türkischer oder marokkanischer Herkunft wahrnehmen. Parallel dazu wäre es für eine erfolgreiche Integration unabdingbar, den Islam systematisch in die Privatsphäre zu verdrängen und die öffentlichen Bekundungen dieser Religion möglichst zu unterbinden.