Christen im öffentlichen  Dienst in Baden-Württemberg

 

Herbsttagung am 14. Oktober 2006 im Waldhotel Stuttgart-Degerloch

 

 

 

 

 

Landtagsabgeordneter a.D. Rudolf Decker

 

Glaube und Verantwortung

 

 

Wenn ich nach einer Gemeinsamkeit suche zwischen uns, die wir hier sitzen, dann glaube ich, dass Angehörige des öffentlichen Dienstes  - wenn sie irgendwo auftreten - und Politiker ein gleiches Problem haben.

 

Nämlich: Wen trifft man wo und wie spricht man diese Personen an. Gibt es jemanden, den man besonders erwähnen muss in der Ansprache, in der Titulierung. Wenn diese protokollarischen Dinge nicht funktionieren, kann dies ein großes Manko sein für das, was wir anschließend miteinander vorhaben. In diesem Kreis hier darf ich die Frage stellen, wie die Titulierung biblisch aussehen müsste. Unter uns kann ich ja sicher voraussetzen, dass wir die Bibel zur Grundlage nehmen und die Dinge verwerfen, die biblisch nicht haltbar sind.

 

Also, wie ist die korrekte Anrede, wenn wir uns im biblischen Sinne zusammenschließen? Hätten Sie Vorschläge dazu?

 

„Liebe Brüder und Schwestern“ ? Ja, angenommen, es wäre jemand da, der kein Bruder und keine Schwester ist, wie wollen Sie den adressieren? Das heißt also, die Anrede „Brüder und Schwestern“ ist schon eine sehr interne, ich sage mal „christlich interne“ Anrede. Ich bin also dagegen, dass in unseren Gebetsfrühstücken die Bundestagsabgeordneten mit „Brüdern und Schwestern“ angeredet werden. Ich rate davon ab, weil wir gerade hoffen, dass die „Nichtbrüder“ und die „Nichtschwestern“ dazu kommen und dann vielleicht eines Tages zu Schwestern und Brüdern werden.

 

Andere Vorschläge? „Freundinnen und Freunde“? Gut, dagegen ist nichts zu sagen, das ist ziemlich neutral. Da fällt mir Augstein ein, der gesagt hat: Christ ist jeder, der sich dafür hält bis zum Beweis des Gegenteils. Das könnte man bei Freunden auch sagen: Freund ist jeder, der sich dafür hält bis zum Beweis des Gegenteils.

 

Da gibt es noch eine andere, aus dem 2. Korintherbrief hervorgehende Titulierung, die Paulus dort erwähnt. Da geht er ganz weit. „So sind wir nun“, schreibt er im Zusammenhang mit der Versöhnung, „Botschafter an Christi statt“. Paulus sagt zu den Gläubigen: „Wir sind Botschafter, denn Gott ermahnt durch uns!“ Also, wir haben in Berlin eine Gruppe von Botschaftern oder für Botschafter, die sich dort regelmäßig trifft und bei Botschaftern hat man es mit der Anrede besonders leicht, selbst wenn sie lange und komplizierte Namen haben. Da braucht man nur ein Wort wissen. Wie heißt das?

 

Exzellenz! Also, jeder Botschafter ist vollkommen zufrieden, egal ob es der Botschafter der Vereinigten Staaten ist oder der irgendeines Zwergstaates.

 

In der biblisch korrekten Sprache müsste ich Sie also alle mit „Exzellenzen“ anreden., es sei denn Sie sagen: „Das trifft bei mir gar nicht zu. Ich bin nicht Botschafter an Christi statt!“ Das tun wir natürlich nicht in der Praxis, aber ich bin so orientiert und sehe uns hier in einem Kreis, der sich auch auf einer geistlichen Basis befindet.  Dann wäre biblisch die Anrede „Botschafter“ oder „Exzellenz“ durchaus am Platz. Wenn ich eines noch einfügen darf: Ich frage immer gerne, wen vertritt denn der Botschafter? Da kommen bei der normalen Bevölkerung manchmal abstruse Gedanken. Die einen meinen, er vertritt das Volk. Die anderen meinen, der Botschafter vertrete die Regierung. In Wirklichkeit vertritt ein Botschafter ausschließlich den Präsidenten, das Staatsoberhaupt. Wenn ein Botschafter nach Berlin kommt, dann bringt er ein Beglaubigungsschreiben seines Präsidenten oder des Obersten seines Landes mit und präsentiert das unserem Staatsoberhaupt. Und dann erst ist er akkreditiert. Wenn wir Botschafter sind an Christi statt, egal ob wir uns nun so ansprechen oder nicht, dann sollten wir uns immer gewahr sein, wen wir vertreten. Dies nur als Vorbemerkungen.

 

 

Ich komme zum Thema „Glaube und Verantwortung“ in einem zunächst einmal allgemeinen Sinn und später wollen wir dann das eine oder andere aus der Praxis der Gebetsfrühstücksarbeit im deutschen Bundestag, im Landtag, im öffentlichen Dienst oder unter Botschaftern durchklingen lassen. In manchem unterscheidet sich diese Arbeit etwas vom Vorgehen, das Sie vielleicht von anderen Gruppen und Teilen der Reichsgottesarbeit kennen.

 

Ich fange aber mit dem an, was absolut nicht anders ist. Nicht anders ist das große Gebot, das wir in Matthäus 6, 33 lesen, nämlich „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit!“ Als Jesus seine Predigttätigkeit bzw überhaupt sein Wirken in dieser Welt begonnen hat, da war sein erster Grundsatz (den er nicht einmal selbst erfunden hat, sondern von Johannes, dem Täufer übernommen hat): „Tut Buße, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!“ Und das ist natürlich für jemanden, der mit dem öffentlichen Dienst zu tun hat, von erheblicher Bedeutung: dass wir es nämlich mit dem Reich Gottes auf der einen Seite zu tun haben und mit den Reichen dieser Welt, mit den Herren dieser Welt, auf der anderen Seite.

 

Es gibt eine klare und unzweideutige Priorität: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit!“ Und weil wir schon bei den Grundlagen sind, weise ich auf das Andere hin: Jesus wurde einmal nach dem großen Gebot gefragt, und er antwortete darauf: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von all deinen Kräften und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Also, dieses Doppelgebot der Liebe ist für Jesus das größte und wichtigste Gebot. Darin ist alles enthalten, was das Gesetz und die Propheten gelehrt haben.

 

Ich sage gerne zu Menschen, die wenig oder gar keinen Glauben haben: „Das, was man vom Glauben wissen oder erfahren kann, ist in ein oder zwei Minuten erlernbar.“ Also, von der Seite her ist es keine große Schwierigkeit, gläubig zu werden. Wenn man verstanden hat, dass es darum geht, Gott zu lieben und den nächsten wie sich selbst, dann weiß man schon das Wesentliche. Was dieses ausfüllt mit Details, mit täglichen Lebensanweisungen, wird dann hinzukommen. Ich bin immer der Meinung, dass man vor allem die Grundlagen nicht außer Acht lassen sollte.

 

Ich bin persönlich von Beruf Bauingenieur und hatte viele Jahrzehnte meines Lebens mit Statikern und Prüfstatikern zu tun. Der Statiker muss für drei Dinge sorgen: Dass die Summe der Horizontalkräfte = Null ist (also Aktion = Reaktion), außerdem muss die Summe der Vertikalkräfte  = Null sein und ebenso müssen die Momente = Null sein und wenn dies stimmt, dann bleibt der Turm stehen. Wenn diese Regel aber nicht stimmt, fällt das Ding beim nächsten Sturm um. So einfach ist das und ich lerne daraus im Hinblick auf das gerade eben zitierte große Gebot, dass alles was ich tue in Einklang damit stehen sollte, dass ich Gott liebe und dass ich meinen Nächsten liebe.

 

Nun haben wir in Deutschland eine ausgesprochen segensreiche Besonderheit. Es gibt eine deutsche neuzeitliche Version des großen Gebotes in unserem Grundgesetz. Diese heißt:  „Das Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen.“ So beginnt die Präambel des Grundgesetzes bekanntlich: „Im Bewusstsein  der Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben.“ Verantwortung vor Gott und den Menschen! In dem Wort Verantwortung steckt ja „Antwort“. Also, in dieser Verantwortung vor Gott und den Menschen, da kann doch eigentlich die Antwort nur lauten, dass wir Gott lieben von ganzem Herzen und dass wir unseren Nächsten lieben wie uns selbst.

 

Diese Republik beruht darauf, dass im Bewusstsein dieser Verantwortung die Grundlage für unser ganzes Gemeinwesen gelegt worden ist. Deshalb kann man berechtigter Weise fragen: „Herr Abgeordneter oder Herr Regierungsrat oder Frau Präsidentin, wie halten Sie es mit dieser Verantwortung vor Gott und den Menschen?

 

Sie sind ja auch darauf festgelegt, diese Verantwortung ist die Grundlage, auf der Sie stehen.  Wie stehen Sie also dazu? Es ist ein Segen allergrößter und aller weitreichendster Art, der uns durch die Väter und Mütter des Grundgesetzes überlassen worden ist. Es ist hochinteressant und es werden Doktorarbeiten geschrieben über das Thema, wie es zu diesem Gottesbezug im Grundgesetz gekommen ist, und es ist hochinteressant, dass die Zustimmung damals auch von durchaus nichtchristlichen Teilnehmern bis hin zu Kommunisten und Atheisten in der parlamentarischen Versammlung kam. Also die Frage nach Gott und der Verantwortung vor Gott und den Menschen reicht weit über das christliche Weltbild hinaus.

 

 

Unsere Zeit und die Bibel bzw. die christliche Religion. Da gibt es Widersprüche und Probleme. Ich hatte vorhin schon betont: die Bibel ist für mich die Grundlage meines Dienstes. Die Verhältnisse der Politik und auch des öffentlichen Dienstes sind so kompliziert und so problematisch, dass man meiner Meinung nach ohne die Weisheit der Bibel überhaupt nicht auskommen kann. Das ist eine Erfahrung. Nur der Rückgriff auf die biblischen Positionen ist eine Garantie dafür, dass man das Richtige tut oder sagt. Nehmen wir ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie, würden zu unseren Frühstück für die Botschafter gebeten und wären für dieses Frühstück verantwortlich, weil die Stammkräfte, die dies normalerweise machen, ausgefallen sind. Wie würden Sie die etwa 20 Botschafter, die aus aller Welt kommen und die sämtliche Religionen repräsentieren, empfangen? Was kann man diesen auf einer biblischen Grundlage anbieten? Da gibt es Leute, die haben noch nie etwas von der Bibel gelesen oder gehört. Aber das Interessante ist: Die Bibel ist konzentriert, wenn man den Anfang des Johannesevangeliums nimmt. Dieses kurze Wort: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort und alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist und in ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen …“ Also, wenn wir das Wort nehmen, dann reden wir von der Person Jesu. Und so unglaublich es erscheint: Sie können auf der ganzen Welt mit allen möglichen Leuten, mit Moslems, mit Buddhisten, mit Kommunisten, über Jesus reden. Jesus hat ein Ansehen auf der ganzen Welt. Japan hat  trotz Jahrhunderte langer Missionstätigkeit  nur 1 % Christen unter seiner Bevölkerung. Aber als die Japaner vor einiger Zeit in einer Umfrage gefragt wurden, mit welcher Bedeutung sie Persönlichkeiten dieser Welt belegen würden, war eine der drei bedeutendsten Mutter Teresa und eine weitere war Jesus. Die Japaner wissen in ihrer ganz großen Mehrheit, dass Jesus eine bedeutende Persönlichkeit in dieser Welt war.

 

Der Schlüssel und das Entscheidende ist die Person von Jesus. In der Person Jesu kommen drei Eigenschaften zusammen, die in hervorragender Weise geeignet sind, ihn in die Kommunikation mit Nichtchristen einzubeziehen.

 

Die erste Eigenschaft: Jesu war Mensch. Die menschliche Eigenschaft Jesu braucht überhaupt nicht unter den Teppich gekehrt zu werden. Er nannte sich häufig in den Evangelien „Menschensohn“. Und unter dem Kreuz sagte der Hauptmann, der ihn gekreuzigt hat: „Seht, welch ein Mensch“. Auch Pilatus wird so zitiert. „Welch ein Mensch, ecce homo.“. Wenn jemand Pädagogik liebt, kann er sich bei Jesus schlau machen. Die Person Jesu als Mensch kann überall in der ganzen Welt ein unproblematisches, auch ein religiös unproblematisches Thema sein.

 

Ich nenne das Zweite. Jesus war ein Prophet. Viele Kapitel des Evangeliums zeugen davon, dass er als Prophet betrachtet wurde. Er hat sich nie selbst Prophet genannt, aber er hat nie dieser Titulierung widersprochen. Auch die Moslems, halten ihn für einen Propheten. Wenn man sich mit Moslems befasst und mit der Mission unter Moslems, dann ist es von großer Bedeutung, dass wir den Weg zu ihnen über diesen Weg betreten. Jesus hat so viel vorausgesagt und er hat so viel gewusst.

 

Die dritte Eigenschaft ist, dass Jesus mein Herr ist und mein Gott. Und nebenbei bemerkt, hier fängt der ganz große Widerspruch mit dem Islam an, an dieser entscheidenden Stelle, fast möchte ich sagen, ausschließlich an dieser entscheidenden Stelle, weil Jesus nach deren Auffassung nicht Gottes Sohn war, so dass Gott nicht in Jesus war und Jesus folglich auch nicht in der Lage, alle Welt zu erlösen. Dieses ganze Erlösungswerk ist vom Islam weg retouchiert worden. Jesus als der Erlöser, der die Sünden vergibt, der die Gerechtigkeit schafft, die vor Gott gilt, ist den Moslems nicht bekannt. Insofern ist natürlich der Islam für Christen die schlimmste Irrlehre, die man sich vorstellen kann. Wir können das aber einem zehnjährigen Kind in einem islamischen Land nicht vorhalten. Umgekehrt kommt uns aus der heiligen Schrift etwas Wunderbares entgegen, das nicht nur für unser Verhältnis zu Moslems sondern allgemein für den Umgang mit Ungläubigen gilt. Ich erkläre es am besten mit dem Beispiel, als Jesus eines Tages seine Jünger gefragt hat:  „Wer sagen denn die Leute, dass ich bin?“ Die Frage „Wer bin ich?“ war also in den Augen Jesu eine sehr wichtige und entscheidende Frage, die ihn genau so bewegte wie die Jünger. Die Zeitgenossen Jesu hatten darauf die verschiedensten Antworten: Dann fragt Jesus die Jünger:  „Was sagt aber Ihr, dass ich sei?“ Die Antwort, die Petrus gegeben hat:: „Du bist Christus, der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Das ist die Antwort, die Petrus gegeben hat. Und interessant ist dazu der Kommentar Jesu: „Gepriesen seiest du, Simon des Jonas Sohn, denn Fleisch und Blut haben dir das nicht eingegeben, sondern mein Vater im Himmel.“ Also der Geist Gottes selbst hat Petrus die Antwort offenbart. Der Evangelist Billy Graham hat in einem seiner letzten Bücher über das Thema Heiliger Geist sinngemäß geschrieben: Viele Leute denken, dass ich viele Leute zum Glauben an Jesus gebracht hätte. Ich habe keinen einzigen zum Glauben an Jesus gebracht. Es war immer der heilige Geist, der das bewirkt hat.

 

Wenn ich mit einem Moslem über Jesus spreche, ist der Geist Gottes auch da. Ich selbst bin nicht kompetent, den Moslems beizubringen, dass Jesus der Sohn Gottes ist und dass Gott selbst in Jesus ist. Aber bitte, der Heilige Geist ist hier und der soll seine Hausaufgaben machen. So salopp will ich es einmal sagen. Man kann also sehr entspannt und unverkrampft mit Moslems umgehen, auch und gerade in unseren Botschafterfrühstücken.

 

Ich fasse zusammen und sage, wir finden in der Heiligen Schrift das Entscheidende, das als Grundlage auch zum Gespräch mit Andersgläubigen dient, und deshalb allen christlichen Initiativen nahegelegt werden kann, die den Dialog mit der Welt suchen.

 

Jetzt kommt ein „Aber“. Denn ich glaube, dass sich die Kirchengeschichte, die Reichsgottesgeschichte in eine andere Richtung bewegt hat. Wenn man die 2000 Jahre seit Jesu Geburt, zusammenfassend betrachtet, dann waren die ganzen Bemühungen und Anstrengungen auf den König und die Obrigkeiten gerichtet,  wie sie in der autoritären Form bis vor etwa 150 Jahren noch gegolten haben. „Quis regio, quis religio“ war im Allgemeinen die Regel. Also, der König, der Kaiser bestimmte, welche Religion seine Untertanen hatten. Und dementsprechend haben sich die Kirchen geformt. Die Kirchen haben sich diesen weltlichen Strukturen angepasst. Nun möchte ich Ihnen etwas sagen, das Sie mir abnehmen dürfen oder auch nicht. Meine These lautet: Die heutige Form von Kirche und organisiertem Reich Gottes (nicht biblisch orientiertem, sondern organisiertem Reich Gottes), wird den heutigen Bedürfnissen nicht gerecht.

 

Es gilt, das Zeugnis von Jesus in diese Welt hineinzutragen. Wenn Jesus sagt „Geht hin in alle Welt“, ist das eine hundertprozentig gültige Ansage und ein hundertprozentig gültiger Auftrag, der uns allen zuteil wird. Wenn ich dann anfange auszurechnen, wer denn evangelisch und wer katholisch ist, wer denn überhaupt noch einer Kirche angehört oder wer zu dem riesigen Flickenteppich der Freikirchen, wer also zu welchen kleinen Partikelchen des Reiches gehört usw., dann merken Sie die Schwierigkeit, die uns hier begegnet. Das sind keine biblisch begründeten Schwierigkeiten, die ich hier anspreche, sondern das sind strukturelle Schwierigkeiten, die sich im Laufe der Reichsgottesgeschichte ergeben haben.

 

Ich war selber 24 Jahre lang Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg und habe dann etwa ab der Mitte dieser Zeit mithelfen dürfen, die Frühstückstreffen unter den Abgeordneten aufzubauen. Wir haben in Berlin ein fest eingerichtetes Gebetsfrühstück für Bundestagsabgeordnete, das jede Woche stattfindet und im Durchschnitt etwa 25 Abgeordnete aus allen Fraktionen und allen Glaubensbekenntnissen und allen Richtungen zusammenführt. Wir haben keinen Türsteher, der aufpasst, ob dieser oder jener in der einen oder anderen Form als Christ bezeichnet werden kann. Wir lassen jeden rein, der kommt, auch den Atheisten, auch den Ungläubigen. Wie wollte man dies auch anders machen? Noch nie hat jemand ein Gerät entwickelt, mit dem Sie durch irgendeinen Indikator feststellen können, wer ein Christ ist. Der Mensch sieht in diesem Zusammenhang, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an. Zu Beginn einer Legislaturperiode im Bundestag oder im Landtag von Baden-Württemberg taucht immer die Frage auf, die einzelnen Abgeordneten angesprochen und zu den Treffen eingeladen werden. Es gibt keine Organisation, die ich repräsentieren würde, keine Organisation, die sagen könnte, wir sind das Werk, das die Gebetsfrühstücke macht. Dies müssen schon die Abgeordneten in eigener Kompetenz selber entscheiden. Alles, was wir tun ist, dass wir die Vorsitzenden oder die jeweiligen Moderatoren der Gruppe vor Ende einer Legislaturperiode daran erinnern, dass sie eine Art Grundsatzbeschluss in diesem Frühstück fassen. Etwa „Wir empfehlen allen, die nach uns ins Parlament gewählt werden, mit der Einrichtung des Gebetsfrühstücks fort zu fahren.“ Wir haben also diesen Grundsatzbeschluss und wenn dann die neue Legislaturperiode begonnen hat, werden die Abgeordneten kontaktiert, die bisher an den Treffen teilgenommen haben. Diesen liefern wir einen Formulierungsvorschlag für einen Brief,  in dem die Unterzeichner alle Abgeordneten des jeweiligen Hohen Hauses auffordern mitzuteilen, ob sie a, Frühstückstreffen interessiert sind. Das geht meistens mit einer Diskussion einher. Die Frage lautet z.B. wen man denn alles einladen soll? In Berlin ist wiederholt schon die Frage aufgetaucht: „Sollen wir uns auf diejenigen beschränken, die im Abgeordnetenhandbuch eine Konfession angeben?“ Alle, die keine Konfession angeben, derzeit etwa die Hälfte, würden dann nicht eingeladen. Andere sprechen sich ganz bewusst dafür aus, alle einladen. Kurzum, da wird kreuz und quer diskutiert. Auch als die Republikaner in Berlin sozusagen vor der Tür standen, wurde schon die Frage gestellt, ob man die Republikaner auch einladen soll? Vor etlichen Jahren betrafen solche Fragen noch die Grünen, als sie zum ersten Mal in den Bundestag kamen mit ihren Turnschuhen und mit ihrem skurrilen Auftreten. Ich nehme das Ergebnis vorweg. Das Ergebnis dieser Diskussionen unter den Abgeordneten war immer: Ja, letzten Endes müssen wir die alle einladen. Für die unter uns, die auch eine juristische Ader haben: da steckt auch der Gedanke des Allgemeinvertretungsanspruchs der Demokratie dahinter. Im Landtag von Sachsen, wo ich vor kurzem wieder zu Besuch war, haben wir die NPD-Abgeordneten, die vielen natürlich  Bauchweh verursachen. Diese haben  aber den gleichen Abgeordnetenstatus wie irgendeiner aus einer alten, ehrwürdigen Partei. Das geht gar nicht anders. Also müssen alle eingeladen werden, sagen die Abgeordneten unter sich. „Hoffentlich kommen die nicht alle“, seufzen vielleicht manche im Blick auf radikale Parteien. Ich hab dann aus Erfahrung immer wieder hinzufügen müssen: „Ihr müsst damit rechnen, dass alle kommen.“ Und bisher sind immer alle  Parteien in diesen Frühstücksgruppen vertreten gewesen. In irgendeinem Kirchenstrukturplan unter Evangelisch – Katholisch – Evangelikal oder sonstigen Bezeichnungen würde man diese Vielfalt gar nicht unterbekommen. Also, es geht gar nicht anders, als offen und ohne konfessionelle Eingrenzungen zu derartigen Treffen einzuladen. Die alte Zeit war durch Könige und Kaiser gekennzeichnet. Jetzt ist die neue Zeit, die „neue Obrigkeit“ gekennzeichnet durch Mandatsträger aller Sorten.

 

Ich war lange Vorsitzender des Umweltausschusses im Landtag von Baden-Württemberg. Da tat ich mich mit manchen Zeitgenossen unter den Ausschussmitgliedern schwer, denen ich im Herzen Blockadehaltung oder Profilierungssucht anstelle von Ergebnisorientierung unterstellte. Ich habe im Stillen zu meinem Herrn gebetet „Herr, wie soll ich mit diesen Menschen zurechtkommen. Hast du diese denn wirklich so gemacht?“ Wenn ich aber solche Gedanken hatte, habe ich sehr schnell gemerkt, dass es mir nicht zusteht, so zu denken, geschweige denn so etwas sagen. Ich hab’s jetzt trotzdem gesagt, um einfach einmal Denkvorgänge zu illustrieren.

 

Mit anderen Worten, ich sag’s mal auf einen sehr kurzen Nenner gebracht: Wir können mit den kirchlichen und „christlichen“ Strukturen und Schubladen in der Frühstückskreis-Initiative wenig anfangen. Erfordert nicht  die neue Zeit, die durch Demokratisierung und Globalisierung gekennzeichnet ist, generell ein Nachdenken darüber, wie wir wen erreichen. Ein ganz neues Nachdenken!

 

Jesus hat in seinem Missionsbefehl keine Zielgruppe ausgeschlossen. Er hat keine Religion ausgeschlossen, er hat ethnische Gruppe und keine Kultur ausgeschlossen. Jesus hat gesagt: „Gehet hin in alle Welt“ Er hat nicht gesagt, „Machet zu Christen“, sondern „Machet zu Jüngern!“ Lehret sie zu halten alles, was ich euch befohlen habe.

 

Kirchen, Gemeinden und Missionsgesellschaften passen in vieler Hinsicht nicht mit der Moderne zusammen, weil sie neben dem Evangelium auch ihre ureigene christliche Kultur und Sprache repräsentieren, die in heutiger Zeit von vielen nicht mehr verstanden wird. Ein Beispiel: Wir in dem, was wir mit unseren Gebetsfrühstücken anbieten, eine freundschaftliche Konkurrenz. Wir freuen uns allerbester Beziehungen zu den großen Kirchen und ihren Repräsentanten in Berlin, die ja dort beide sozusagen ihre Botschafter haben. Der katholische Vertreter legt großen Wert darauf, dass sich um ihn und bei ihm immer wieder die deutlich katholisch orientierte Abgeordnete versammeln. In gleicher Weise gilt das für die Evangelischen. Es gibt also auch eine Gruppe von evangelischen Abgeordneten, die sich in ihrem Kreis treffen. Wir sind sozusagen für den „Rest der Welt“ zuständig und die Teilnehmerzahlen bei uns sind deutlich höher als bei den konfessionell-kirchlichen Zusammenkünften.

 

 

Im letzten Teil kann ich mich teilweise auf Stichworte beschränken, weil ich eine Reihe von Dingen schon gesagt habe.

 

Ich selbst war Mandatsträger in der Zeit, als die Frühstückstreffen in Baden-Württemberg angefangen haben. Ich hatte zuvor das National Prayer Breakfast in den USA besucht. Seit der Zeit des Zweiten Weltkriegs treffen sich Abgeordnete des Senats und des Repräsentantenhauses, also beider Häuser des amerikanischen Kongresses, regelmäßig zu diesem Frühstück. Parlamente sind dem aus der Bibel vertrauten vierfachen Ackerfeld vergleichbar. Da gibt es Leute, da fällt der Samen des Wortes Gottes auf den Weg, da kommen die Vögel und picken es auf und weg ist es. Bei anderen fällt der Samen auf Steiniges, oder der Samen fällt auf Dorniges. Aber, sagt das Wort Gottes, etliches fällt auf gutes Land. Und dieses Etliche bringt dann überproportional, deutlich überproportional Frucht.

 

 

Nun neigen wir vielleicht zu einer anderen Denkweise. Es ist doch Blödsinn, wenn der Sämann nicht zunächst einmal den Boden untersucht. Der sollte doch seinen wertvollen Samen konzentrieren auf das gute Land. Aber gerade so ist das Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld  n i c h t. Der Sämann streut den Samen aus, der Same geht auf das ganze Land. Wenn ich also nach diesem Motto vorgehe, bin ich nicht berechtigt, durch den deutschen Bundestag zu gehen und zu gucken, wer zum „guten Land“ geeignet ist. Das steht mir gar nicht zu. Und ich muss Ihnen auch persönlich aus vielen Erfahrungen gestehen: mein Denkergebnis wäre häufig falsch. Manche haben eine christliche Vergangenheit, stammen aus einem frommen Elternhaus; diese müssten ja eigentlich ansprechbar sein: Häufig, häufig Fehlanzeige! Und dann gibt es wieder Leute, bei denen kein Mensch daran denken würde, dass sie für das Evangelium, für das Wort Gottes, für Jesus selbst aufgeschlossen sind. Und die sind es dann!

 

Also, deshalb sollten wir uns daran erinnern, was Jesus wirklich original gesagt hat. Der Samen gehört ins ganze Ministerium, in die ganze Behörde, in der Sie tätig sind. Überall gehört dieser Samen hin. Und was dann aufgeht und gedeiht, ist nicht in unserer Hand.

 

 

Wir hatten im Landtag von Baden-Württemberg in der Zeit, als ich dort tätig war, mindestens eine Hand voll entschieden gläubiger Leute. Aber wir kannten uns gar nicht als solche. Jetzt, als wir anfingen zu den Frühstückstreffen einzuladen, sind sie aus ihren Löchern gekommen und haben sich  –neudeutsch gesagt- auch geoutet. Wir  Gläubigen wussten vorher nichts voneinander. Das Schöne ist: nun versammeln sich in diesen Frühstücksgruppen auch die Gläubigen. Ich unterstreiche das Wort „auch“.

 

Noch etwas zur Illustration, wie so ein Treffen praktisch ablaufen kann: Es gibt eine Einleitung. Die Einleitung wird unter den Teilnehmenden beliebig vergeben. Da wird am Schluss eines Treffens einfach gefragt „Wer macht das nächste Mal die Einleitung?“ Entweder melden sich Leute oder sie werden aufgefordert: „Jetzt mach Du es doch einmal, Du hast es noch nie gemacht.“ Und dann melden sich Leute, unabhängig von geistlichen Voraussetzungen. Und die machen dann die Einleitung. Unvergesslich für mich – es gab in unserem Kreis einen, der nie was gesagt hat, auch nicht bei den Rundgesprächen. Er saß immer nur da, hat eine Pfeife geraucht und hat das Frühstück in jeder Hinsicht und in jeder Phase genossen. Es war eine angenehme Atmosphäre. Das ist ganz wichtig, dass die Atmosphäre stimmt, gerade wenn unterschiedliche Parteien am Tisch sitzen. Irgendwann sagte dann einer zu unserem Schweiger: „Du, hör mal, Du hast noch nie was gesagt, mach doch Du das nächste Mal die Einleitung.“ Und das war so zwingend, dass der zugestimmt hat. Ich war bei dem nächsten Treffen sehr gespannt, was daraus werden würde. Ich war zu der Zeit Moderator des Frühstücks. Wir hatten also eine gemütliche Frühstücksrunde. Und dann fing der Mann an: „Also, ich bin ein großer Idiot, denn ich habe das letzte Mal leichtsinnigerweise zugesagt, dass ich die Einleitung übernehme. Dabei bin ich doch überhaupt nicht fromm. Es gibt hier eine Reihe von frommen Leuten, die sollten das doch eigentlich machen. Also, ich habe das letzte Mal von meiner Großmutter etwas von Glaubensdingen gehört. Da erinnere ich mich daran. Jetzt ist mir aber der Zufall zu Hilfe gekommen; denn ich habe im Kalender festgestellt, die letzte Woche feierte die katholische Kirche –ich bin katholisch- den Schutzengeltag. Aha! Jetzt möchte ich doch gerne mal wissen, was sagen die Kollegen dazu: gibt es Schutzengel und wie wirken die, wie funktionieren die. Also, ich bin sicher, meine Großmutter hat an Engel geglaubt. Aber später ist mir jeder Kontakt dazu verloren gegangen. Also, meine Freunde, das ist meine Einleitung.“ Amen hat er nicht gesagt, aber das war seine Einleitung.

 

Und nun ist das Procedere so, dass wir um den Kreis herumgehen, und jeder ist aufgefordert, von sich aus etwas dazu zu sagen und auf den Tisch zu legen. Niemand ist dazu aufgefordert, dem Andern zu sagen „Hör mal, das ist aber jämmerlich, dass Du nicht an die Engel glaubst.“ Also, das was der Andere sagt, ist gewissermaßen heilig, das lässt man stehen. Aber in dem Kreis, es waren etwa 15, waren Etliche, die sagten: „Ja, ich glaube an Engel!“. Einer hat dazu einfach Beispiele aus seinem Leben erzählt. Dann kam noch einer, der sagte „Also, ich kann mit dem Thema wenig anfangen!“ Und so ging das im Kreis rundherum. Am Ende kam eine große geistliche Bereicherung zustande. Da waren also verschiedene Sachen auf den Tisch gelegt, mit denen man vielleicht gar nicht so viel anfangen konnte, ich jedenfalls nicht. Das war gewissermaßen Bla Bla, auch in geistlicher Hinsicht. Aber dann waren einige so starke und eindrückliche Beiträge dabei, über die man noch später ins Gespräch kam.

 

Dann ist zum Ablauf noch dazu zu sagen, dass wir keine Gebetsgemeinschaft machen, weil das für die allermeisten Zeitgenossen ungewöhnlich und unbehaglich ist. Deshalb beschränken wir uns auf das Gebet des Herrn, das ist aber ein ganz starkes Gebet! Wir haben bei unserer letzten Berliner Begegnung im Sitzungssaal der SPD im Deutschen Reichstag mit über 300 Leuten gemeinsam das Vaterunser gesprochen. Das war eine mächtige Demonstration, gerade an diesem Ort. Also, achten Sie das bitte nicht für gering.

 

Die Gebetsgemeinschaft ist dafür an anderer Stelle von allergrößter Bedeutung. Unbeschadet dessen, wo wir hin gerufen werden, ob in irgendeinem Parlament oder wo es sonst möglich erscheint, eine Gruppe ins Leben zu rufen, ist meine erste Frage: „Gibt es ein paar Beter, die dahinter stehen? Gibt es eine Gebetsgruppe?“ Ohne die geht nämlich gar nichts.

 

Eine besonders erfreuliche Erkenntnis aus der Bibel ist, dass eine optimale Gruppe immer aus zwei oder drei besteht. Es ist ein Fehldenken, wenn ich glaube, ich muss eine große Zuhörerzahl haben. Die entscheidenden Dinge, auch in der Politik, auch in der Verwaltung werden immer unter zwei, drei oder fünf wenigen Leuten ausgehandelt.